Wild und Waldbrand

Seit Wochen nun herrscht in weiten Teilen Deutschlands große Trockenheit. In einigen Regionen gilt diese Dürreperiode als die längste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Und vielerorts befürchten unsere Landwirte hinsichtlich der spätsommerlichen und herbstlichen Ernte bereits das Schlimmste. Weiterhin aber haben etliche Landkreise angesichts der dauerhaften Trockenheit, begleitet von hochsommerlicher Hitze, die höchste Waldbrandgefährdungstufe ausgerufen. Im Fall der Fälle orakeln Jäger und andere Naturfreunde in Ermangelung eigener Erfahrungen dann immer wieder darüber, welche Schäden Waldbrände in der Wildtierfauna verursachen und wie sich das betroffene Wild verhält.

Die Zahl der größeren Säugetiere und Vögel die bei den hiesigen, in der Regel kleinflächigen, Waldbränden umkommen, bleibt normalerweise verschwindend gering. Die Tiere weichen dem Feuer aus. Doch auch bei Großbränden wird die Zahl der erstickten und verbrannten Stücke nur selten zutreffend registriert. Gut dokumentiert ist dagegen das Verhalten des Rotwildes im niedersächsischen Kreis Celle im Rahmen der verheerenden Brände im August 1975 durch den damaligen Kreisjägermeister von Bothmer. Im Rahmen der bis heute größten Brandkatastrophe in der Bundesrepublik Deutschland, bei der auch sieben Menschen den Tod fanden, vernichtete das Feuer in den Landkreisen Gifhorn, Celle und Lüchow-Dannenberg insgesamt über 8000 Hektar Wald und Heide.

Im Kurzprotokoll: Die Brandfläche umfasste im Kern etwa 5200 Hektar. Zu Beginn des Feuers wurde beobachtet, wie die Rudel schon lange vor Herannahen der Feuerfront den Gefahrenbereich verließen, ohne dabei über größere Entfernungen auszuweichen. In der Südheide blieb das Rotwild vielfach sogar in seinen Einstandsgebieten, auch wenn diese großflächig bis auf die Stämmchen der Kieferndickungen vernichtet waren und Äsung völlig fehlte. Das Wild erlitt dabei schwere Verbrennungen an den Läufen. Am neunten Tag nach Beginn der Katastrophe fanden von Bothmer und seine Helfer auf teilweise engem Raum Rudel von zehn bis 30 Stück – in der Asche sitzend, oder stehend in den verbrannten Dickungen. In diesen Verbänden waren gesunde und brandgeschädigte Tiere vereint.

Die Fluchtdistanz des völlig erschöpften Wildes lag bei etwa 30 Metern. Die Individuen mit den schwersten Verletzungen wurden erlegt. Die Stücke waren weitestgehend dehydriert, im Wildpret „trocken“, die Decke wie Leder und der Verdauungstrakt enthielt eine schwarzwässrige Flüssigkeit. Im Extremfall waren die Läufe des noch flüchtenden Wildes bis auf die Knochen verbrannt. Das verbliebene gesunde Wild verließ das Brandgebiet auch später nicht. Es hielt die alten Wechsel ein, die wie ein graues Grabensystem die verkohlte Landschaft durchzogen und wurde angesichts der völlig fehlenden Äsung zeitlich begrenzt gefüttert. Der Rotwildbestand in dem durch v. Bothmer beschriebenen Gebiet wurde damals auf etwa 250 Stück geschätzt. Verbrannt gefunden wurden vier Tiere, 61 Stück wurden nach dem Feuer mit Brandverletzungen erlegt.

Bei dieser Schilderung ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei dem Großbrand etwa 15.000 Feuerwehrmänner aus dem ganzen Bundesgebiet sowie gut 10.000 Soldaten der Bundeswehr und Beamte des Bundesgrenzschutzes mit etwa 4000 Fahrzeugen im Einsatz waren. Darunter befand sich mit großen Löschfahrzeugen, Planierraupen und Bergepanzern schweres Gerät. So konnten die natürlichen Reaktionen des Rotwildes deshalb nicht oder nur teilweise erfolgen. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse von Missbach (1966), auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Rehe flüchten demzufolge sehr spät vor dem Feuer, besonders führende Ricken bleiben sehr lange bei ihren Kitzen, sofern die Brände im Mai oder Juni eintraten. Das gleiche Verhalten ist für Rot- und Damalttiere mit ihren Kälbern zu erwarten. Das Rehwild verlässt in hohen Fluchten, stellenweise verhoffend die brennenden Abteilungen. Trotzdem kehrt es beim Anblick des Menschen fast ausnahmslos in die Einstände zurück und flüchtet durch die Flammen in die Brandfläche. Bei Großbränden findet es nicht mehr heraus, erleidet besonders an den Läufen Brandverletzungen oder verendet an Rauchvergiftungen, was gleichsam für die anderen vorkommenden Schalenwildarten zutrifft. Auch von anderen Bränden wird berichtet, dass das flüchtende Wild auf die menschliche „Verteidigungskette“ traf, und daraufhin in den Brand zurückflüchtete.

Nach Bränden unter 50 Hektar wurden keine einwandfrei nachgewiesenen Wildverluste bekannt. Bei Flächen von 50 bis 1000 Hektar schwanken die Zahlen zwischen einem und 23 Stück Schalenwild. Sehr hohe Verluste traten bei einem Waldbrand von etwa 1400 Hektar Fläche im Jahre 1964 bei Weißwasser mit 25 Stück Rotwild, 21 Stück Rehwild, einer Sau, zwei Hasen, zwei Stück Auer- und drei Stück Birkwild auf. Der bis zum oben geschilderten Feuer in der Lüneburger Heide größte Waldbrand begann am 15. August 1904 beim niederschlesischen Primkenau, dem heutigen Przemkow in Polen. Der 4560 Hektar umfassenden Feuerkatastrophe fielen offiziell 100 Stück Rotwild, 40 Rehe, drei Stück Damwild, eine Sau, sieben Füchse und fünf Stück Auerwild zum Opfer.

Es kamen aber auch Brände bis 2000 Hektar Größe vor, bei denen trotz intensiver Suche keine oder nur ganz wenige Stücken Wild gefunden wurden. Die Fläche allein ist also offensichtlich nur bedingt ausschlaggebend für die Höhe der Verluste. Bei vielen dieser Brände wurde beobachtet, dass sich das Schalenwild ohne nennenswerten Schaden über die Brandfläche retten konnte. Dies wiederum hängt stark von der Brandintensität, der frei werdenden Hitze und damit von der brennbaren Bodenstreu, der Struktur des Bestandes und der an den Brandtagen herrschenden Wetterlage ab, wobei der Wind eine besondere Rolle spielt. Daran gekoppelt ist bezüglich der Wildverluste die Laufgeschwindigkeit des Brandes von hoher Bedeutung. Das bisher Gesagte zeigt, dass erst beim Zusammentreffen der entsprechenden Wetterlagen, also langer Trockenperioden und starkem Wind, mit brandfördernden Standorts- beziehungsweise Bestockungsverhältnissen und Bekämpfungsmaßnahmen mit hoher Personenzahl nennenswerte Wildverluste zu erwarten sind. Verschiedene Forstleute empfehlen, bei Waldbränden Kulturzäune niederzulegen und dem Wild die Wege freizugeben. Bei einem 270 Hektar großen Brand bei Cottbus (1964) zeigte sich, dass Rehwild nicht in den Brandherd zurückwechselt, wenn sich größere Menschenansammlungen vorübergehend zurückziehen und die Löschmannschaften sich niederlegen.

Bezüglich der „Nicht-Schalenwildarten“ ergaben die von Professor Karl Missbach gesammelten und ausgewerteten Protokolle über die Brände bis 1964 Folgendes: Füchse flüchten „kopflos“. Die Verluste an Auer- und Birkwild dürften damals laut Aussage der zuständigen Revierbeamten sehr wahrscheinlich noch wesentlich höher gewesen sein, als die offiziellen Zahlen. Bei dem Brand bei Weißwasser (1964) wurde eine Auerhenne beobachtet, die in die Flammen flog, abstürzte und verbrannte. Ein Hahn wurde mit verbranntem Gefieder gefunden und musste getötet werden. Nach dem Großbrand von Primkenau (1904) ging der Auerwildbestand von etwa 30 Hähnen und 90 Hennen auf elf Hähne und 35 Hennen zurück. Gemeldet wurde nach dem Brand ein Verlust von fünf Hähnen.

Nach dem Feuer bei Weißwasser wurden neben zwei Stück Auerwild auch drei Stück Birkwild als verbrannt gemeldet. Gleichzeitig wurde das Birkwild auf nahegelegenen Feldflächen beobachtet, wo es sonst nicht vorkam. Da die seinerzeitigen Birkwildreviere und besonders die Moorfläche im damaligen Kreis Weißwasser von 1945 bis 1964 siebenmal von Bränden über 100 Hektar Größe betroffen waren, scheinen die Verluste nicht besatzgefährdend gewesen zu sein. Im Gegenteil – was die oft beschriebene günstige Wirkung auf die Fortpflanzung des Birkwildes eher bestätigt. Aus aktueller Naturschutz-Perspektive sicher eine bemerkenswerte Erkenntnis. Wird doch bis heute das gezielte „Brennen der Heide“ – zum Beispiel im Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) – seitens verschiedener Schutzverbände nach wie vor mit Argwohn begleitet.

Bei Greifvögeln wurden keine Verluste festgestellt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Horstverluste, beziehungsweise jener an Jungvögeln und Gelegen, nach den Waldbränden kaum noch festzustellen sind. Die von Missbach analysierten Waldbrände verteilten sich über die Monate April bis einschließlich August, woran sich bis heute kaum etwas geändert hat. Der bis dato letzte Flächenbrand in Deutschland erfasste 2011 etwa 2000 Hektar, verteilt auf mehrere Brandherde, auf dem Truppenübungsplatz Senne in Ostwestfalen – das erste Feuer wurde dort am 3. Mai registriert.