Die Hochbrunft des Rotwildes im niedersächsischen Tiefland fällt ganz überwiegend in die zweite Septemberhälfte. Alljährlich kehrt sie wieder und versetzt unzählige Jäger und weitere Naturfreunde in große Vorfreude und die betreffenden Reviere in knisternde Spannung. Doch zeigt das Rotwild sein faszinierendes arttypisches Brunftverhalten letztlich nicht, um uns damit eine Freude zu bereiten oder die eigene Art zu erhalten. Hirschen und Kahlwild geht es einzig um den Transport der eigenen Gene in zukünftige Generationen.
Alte und etliche mittelalte Rothirsche treten zur Fortpflanzung fast gänzlich in den „Hungerstreik“, um sich voll und ganz der Fortpflanzung zu widmen. Als Folge können sie in kurzer Zeit bis zu 20 Prozent und mehr ihres Körpergewichtes verlieren. Darüber hinaus lassen sie sich auf gefährliche, vielleicht tödliche Brunftkämpfe ein. Rivalenkämpfe, schreien, rudeln, treiben und mit möglichst vielen weiblichen Tieren zu kopulieren, bedeuten eine Höchstmaß an körperlicher Anstrengung und sind für den Hirsch mit lebensbedrohlichen Risiken verbunden.
Warum sie das tun? Steht diese scheinbare Selbstlosigkeit tatsächlich im Sinne der bis heute so oft zitierten Arterhaltung? Nein! Denn auch Rothirsche sind letztlich „Opfer ihrer Hormone“ und folglich ihrer eigenen Erbanlagen. Ihr Ziel ist es, den eigenen(!) Fortpflanzungserfolg zu maximieren. Das allein ist der egoistische und genetisch fixierte Hintergrund ihrer Verhaltensweisen. Ginge es ihnen um die Erhaltung der Art, könnten sie einem anderen, etwa gleichstarken Hirsch ja auch kampflos das Feld und folglich das bis dato behauptete Kahlwildrudel überlassen – doch genau das tun sie eben nicht.
Es war die Soziobiologie, die etwa ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nach und nach zu diesem Paradigmenwechsel innerhalb der Verhaltensforschung führte und die dazu notwendigen wissenschaftlichen Beweise erbrachte. Während zuvor die Arterhaltung im wissenschaftlichen Focus stand, ist es heute die Fähigkeit des einzelnen Individuums, sich möglichst erfolgreich fortzupflanzen.
Alle wissenschaftlichen Betrachtungen und Ergebnisse sollten uns jedoch nicht die eigene Freude an der Rotwildbrunft nehmen. In diesem Sinne wünscht Ihnen das Team der Natur- und Jagdschule Schloss Lüdersburg viele spannende und interessante Beobachtungen sowie ebenso viel Weidmannsheil.