Suchen territoriale Böcke in der zweiten Hälfte der Brunft tatsächlich und regelmäßig in weiten Bögen und in fremden Bockterritorien nach brunftigen Ricken und Schmalrehen? Sie tun es wohl manchmal, offenbar aber deutlich seltener als gedacht.

Wildbiologische Großversuche, in deren Rahmen das Raum-Zeitverhalten der Rehe per Telemetrie erfasst wurde, zeigen, dass die so oft zitierten weiten Suchen nicht die Regel sind. Relativiert wird diese Annahme darüber hinaus auch dadurch, dass entgegen eines noch immer weit verbreiteten Irrglaubens auch die brunftigen Schmalrehe und Geißen ihrerseits zur Brunft die Böcke auf- und vielleicht sogar aussuchen. Kurzum Damenwahl!

Hinzu kommt, dass sich die Territoriumsgrenzen nicht rasterartig und „wie in Stein gemeißelt“ darstellen. Mehr oder minder große Überschneidungen in den Randbereichen sind die Regel. Weiterhin besetzen auch einige ältere Böcke als sogenannte Pazifisten keine Territorien. Ältere und unbekannte Böcke, die zur Blattzeit erlegt werden, sind also nicht zwangsläufig immer zugewanderte, direkte oder entfernte Territoriumsnachbarn auf der Suche nach brunftigen Stücken im vermeintlichen „Feindesland“.

Zwei Beispiele mögen als Unterstützung dieser These dienen. In Ekenäs (Schweden) wurden die „spätbrunftlichen“ Bockwanderungen per Telemetrie gezielt überprüft. Es zeigte sich, dass die territotialen Böcke in der Spätphase der Brunft weder mobiler waren, noch sich weiter von ihren Kernrevieren als zuvor entfernten (Liberg et al. 1996).

Im österreichischen Hahnebaum wurde zehn Jahre lang eine alpine Rehpopulation bei einer Dichte zwischen 12 und 45 Stück pro 100 Hektar untersucht. Die markierten und teilweise zusätzlich telemetrierten Böcke haben ihr Territorium während der Brunft in keinem einzigen Fall verlassen. Lediglich eine Ricke wurde kurzzeitig etwa 1000 Meter außerhalb ihres angestammten Streifgebietes beobachtet (Wotschikowsky 1997).

Sicherlich kann(!) in diesem Zusammenhang sowohl der Lebensraum als auch die Zahl der Böcke sowie jene der fortpflanzungsfähigen weiblichen Rehe eine gewisse Rolle spielen. Zumindest im zitierten Hahnebaum traf jedoch auch letztere Annahme nicht zu. Die Böcke blieben auch nach einer Reduktion des Bestandes auf etwa ein Drittel ihren Territorien treu. Keiner nutzte die neu gewonnene Ellbogenfreiheit dazu, sein ursprüngliches Refugium zu vergrößern oder ein anderes Revier aufzusuchen.